Kapitel 3/8: P – Patrick, ein eigenes Kapitel …
Autorin: Sonja Schönberger
Forstsetzung der Festschrift - hier geht’s Teil 2: S wie Sanieren & Soft OpeningVon Beruf und Berufung
Patrick bekommt ein eigenes Kapitel. Wir im Team sind uns alle einig, dass er – neben dem Café selbst – die Seele dieses Lokals ausmacht. Wahrscheinlich könnte man ein ganzes Buch über ihn schreiben, so facettenreich ist seine Persönlichkeit. Als Gründer und passionierter Espresso-Liebhaber, war es schnell klar, dass er sich voll und ganz – sozusagen mit Leib und Seele – diesem Café verschreiben wird. Wir erleben täglich, dass Kunden kommen, um ihn zu sehen und kurz mit ihm zu plaudern. Das „Phänomen Patrick“ lässt einen nicht kalt. Manche reiben sich an ihm auf, aber der Großteil der Passanten und Kunden freut sich über seine Anwesenheit. Menschen sind oft überrascht von der Energie, die er versprüht.
Patricks teilweise wildes Gestikulieren, sein Herumhüpfen, provokante oder lustige Spontan-Äußerungen sowie das meist sehr laute Telefonieren dieses alten weißen CIS-Mannes (wie er sich selbst bezeichnet) bleiben nicht unbemerkt. Er könnte auch als Boomer durchgehen - das grau melierte Haar leistet seinen Beitrag dazu. Allerdings fehlen ihm de facto ein paar Jährchen dafür. Für manche Kunden unglaublich. Das hat schon zu einigen amüsanten Situationen geführt. Gleich kurz nach der Eröffnung im Mai 2015 stuft ihn beispielsweise einer der Hausbewohner für gleich alt ein:
75 Jahre! Selten hab ich Patrick sprachlos erlebt. Das war eines der wenigen Momente. Er war zu diesem Zeitpunkt nämlich „erst“ 48. Das hat bei allen, die ihn kennen, zu großem Gelächter geführt – bis heute!
Patrick spricht viel und fragt viel beim Gegenüber nach. Egal, ob er den jeweiligen Menschen kennt oder ob es eine neue Bekanntschaft ist: Er will sich austauschen. Er ist neugierig auf Menschen, will sich auseinandersetzen. Diese Gabe einer Art „natürlichen Unbeschwertheit“ im Umgang mit Menschen ist wohl von den Eltern in die Wiege gelegt worden. Insbesondere von Mutter Lucia. Sieht man die beiden nebeneinander, dann ist klar: Sie können es nicht leugnen, sie sind (seelen-)verwandt! Keinesfalls „leutscheu“, wie der Volksmund sagt, sondern stets im Moment präsent, in Aktion und fallen auf. Lucia ist ein wahres Energiebündel – immer quirlig, immer agil. Das hat sie ihren beiden Söhnen vererbt.
Zusammenfassend könnte man sagen, Patrick ist ein absoluter Menschenfreund. Oft sieht er Personen direkt und lange an – obwohl Vater Fritz bereits in Patricks Kindesalter verzweifelt versuchte, ihm beizubringen, dass er Leute nicht anstarren solle 😉. Patrick merkt es gar nicht, denn die Neugier ist größer. Sein Counterpart fühlt sich dann aufgefordert, mit ihm in Dialog zu treten. Oder ist verunsichert und grüßt, weil er glaubt, ihn kennen zu müssen. Schon kommt ein Gespräch zustande. Über alles Mögliche: Wetter, Politik, Lokales. Einmal hatten wir diese recht lustige Begegnung im 1. Bezirk, wo sich ein Passant partout nicht ausreden ließ, dass Patrick kein berühmter Tatort-Kommissar sei. Er meinte „Mah so ein Glück, Sie hier in Wien ‚in echt‘ auf der Straße zu treffen. Ich bin ein großer Fan.“ Als Patrick versuchte, ihm zu erklären, er sei es wirklich nicht, meint der „Fan“: „Ich verstehe – Sie sind inkognito hier und wollen endlich mal in Ruhe mit Ihrer Frau ein paar Tage genießen. Ich wünsche Ihnen das Allerbeste.“
Patrick lebt im und für das Café. Entertainment inklusive.
Meist hat er einen flotten Spruch auf den Lippen. Seine Körpersprache tut ihr Übriges - oft ungewollt witzig. Die Menschen, die zu uns kommen, mögen das, wenn es „menschelt“. Das Leben ist ernst genug und man schätzt es, wenn einer jemand für ein paar Sekunden die eigenen Sorgen vergessen lässt und unterhält.
Mit großer Neugier und Offenheit nähert Patrick sich dem geneigten Kunden. Auch dem ungeneigten 😉. Ist er gut ausgeschlafen, verwickelt er Gäste in Gespräche und gibt in raschestem Tempo manch originelle, provokante oder platte Sprüchen von sich – gespickt mit zotigen Stammtisch-Kommentaren. Sein loses Mundwerk und seine schlagfertigen Bemerkungen machen Stimmung.
Er spricht manches laut aus, was andere nur denken. Nicht immer ist alles politisch korrekt oder einwandfrei kindertauglich, aber in bester Absicht. Er trägt sein Herz auf der Zunge. Ob Spontanäußerungen, belegte Tatsachen, profundes Wissen oder politische Meinung: Er mischt alles durch und hält damit nicht hinterm Berg. Dann wonnt er sich in der Reaktion des Gegenübers. Das hat schon zu lustigen, aber auch vereinzelt peinlichen Situationen geführt:
Da gibt es beispielsweise die Begebenheit mit Heino Ferch, der an einem Nachmittag von seinen österreichischen Begleitern zu einem Besuch in unser Café verführt wurde (mehr dazu kann man in unserer Kaffeehausgeschichte auf www.schoenbergers.at -> „Heino Ferch mitten auf der Wieden“ nachlesen). Patrick steht hinter der Theke und erkennt ihn sofort. Er verehrt Heino Ferch, kann es kaum glauben, dass er „in echt“ vor ihm steht. Er hat all seine Filme gesehen. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – bricht ein sehr launiger Spruch aus ihm heraus. Heino Ferch lässt das mit einer professionellen Gelassenheit über sich ergehen. Andere Gäste schalten sich dazu und sagen ihm: „Ja so ist das in Österreich. Ist nichts Persönliches“. Herr Ferch schmunzelt sachte, pariert kurz und trinkt sein Getränk – ohne die Situation weiter zu kommentieren oder sich gar zu echauffieren. Seitdem ist Patrick noch mehr Fan – falls das überhaupt möglich ist.
Man muss wissen: Patrick erkennt kaum Promis und kann ganz schlecht Namen mit Gesichtern zuordnen. Dazu passt eine äußerst amüsante Geschichte mit Manuel Rubey, die man nicht besser hätte erfinden können. Sie ist auf hier nachzulesen: Kaffeehausgeschichte Manuel Rubey und der ausverkaufte Siebträger.
Dieses „Nicht-Wieder-Erkennen“ führt auch dazu, dass Kunden, die ab und zu kaufen – also nicht regelmäßige Stammkunden sind, konsterniert sind. Daraus hat er gelernt und sich vorgenommen, grundsätzlich bei jedem, der sich dem Kaffeegreissler-Café nähert, recht freundlich zu grüßen und auch so zu agieren, als ob er ihn/sie erst gestern getroffen hätte. Dieser Ansatz führt lustigerweise manchmal dazu, dass er sich intensiv angeregt eine halbe Stunde mit jemanden bestens unterhält und dann später im Team fragt: „Wer war denn das, mit dem ich jetzt gesprochen hab?“ Immer sehr lustig – zumindest für uns intern! Irgendwer weiß dann aber den Namen und ab diesem Zeitpunkt prägt sich Patrick dann Gesicht mit Namen ein, um es beim nächsten Mal fix abrufen zu können. Ganz gemäß dem Motto „fake it till you make it“ 😉.
En français? Pas de problème!
Patrick ist vieles. Manche seiner ältesten Bekannten behaupten sogar, er hätte eine multiple Persönlichkeit. Er kann spontan in diverse Rollen und Sprachen schlüpfen. Für die internationale Offenheit haben seine Eltern den Grundstein gelegt – Patrick durfte bereits in frühen Jahren in ausländischen Schulen ein paar Wochen „schnuppern“ – alles privat organisiert, denn damals waren Plattformen wir Erasmus noch nicht etabliert. Die Eltern nahmen dafür sicherlich viel Mühe in Kauf, aber sprechen nicht viel drüber. Sie sehen es als „normal“ an, das organisatorische Talent auch für die Bildung der Kinder zu nutzen. Davon profitieren auch heute noch Nachhilfe-Schüler der beiden pensionierten Lehrer.
Damit wurde der Grundstein fürs Internationale gelegt. Touristen hier in Österreich freuen sich immer, wenn Patrick nahtlos Französisch oder Englisch mit ihnen plaudert. Er imitiert Akzente und macht Witze, die oft nur er versteht. Immens lustig ist es im Italienischen: Da spricht er Französisch und betont es Italienisch. Er glaubt dann tatsächlich, dass er italienisch spricht. Das hat bei so manchen Touristen schon zu diversen Verwirrungen geführt. 😉
Alles, was ich hier festhalte, ist sehr aus dem Nähkästchen geplaudert. Aber Patrick ist großzügig und verzeiht es sicher, wenn ich diese Anekdoten preisgebe, denn er muss im Nachhinein selbst oft über sich in diversen Situationen lachen … Wir beide genießen es enorm, dass unsere Arbeit nicht todernst ist. Beide haben wir - beruflich gesehen – eine sogenannte Management-Karriere hinter uns. Nach unserem heutigen Verständnis, nehmen sich Leute in diesen Positionen selbst teilweise viel zu ernst. Weil sie ihr System eben repräsentieren müssen oder aber aus reiner Selbstdarstellung. Auch aus Angst, Seriosität zu verlieren. Man hat den Eindruck, sie hätten jede Art von Humor verloren, gehen in den Keller lachen, wie man so schön sagt. Heute können wir oft nicht mehr verstehen, wie wir es so lange in den für uns heute „pseudo-ernsthaften Konzernstrukturen“ ausgehalten haben.
Das Café erlaubt es uns, relativ easy auf einer gewissen Schmäh-Welle dahinzugleiten. Natürlich ist das alles vordergründig oberflächlich - aber ich kann dem/r geneigten Leser/In versichern: Wir nehmen ernst, was wir tun, wir nehmen uns selbst aber nicht allzu ernst! Das verleiht eine gewisse Leichtigkeit, mit der man unserer Ansicht nach einfach besser durchs Leben reist. Wir sehen unsere Rolle hier auch als eine Art „Pausen-Ermöglicher“. Der Kaffeegreissler ist eine Institution, die ein bisschen Genuss und Freude in den Alltag unserer Kunden bringen soll. Kaffeefreude als Abwechslung – ein kleiner Schabernack oder Lacher als Draufgabe. Das schätzen viele Kunden enorm. Erst kürzlich hat uns eine Stammgast-Runde als „Glückshafen“ bezeichnet. Ein wundervolleres Kompliment kann man kaum bekommen, nicht?
Der „Bürgermeister“ der unteren Wieden
So bezeichne ich Patrick manchmal privat. Denn viele Menschen kommen nicht nur der Abwechslung wegen, sondern auch mit Anliegen oder Ideen. Wo es geht, hilft er. Patrick tauscht gerne aktuellste Informationen in seiner „Hood“. Der rege Austausch führt aber eben auch dazu, dass wir sehr viel hören und erzählt bekommen. Und da agieren wir dann teilweise neben unserer Café- und Verkaufstätigkeit auch als eine Art Nahversorger-Info-Zentrum. Tipps & Infos wie „Wo gibt es eine leere Wohnung?, einen freien Kindergartenplatz, eine gute Bäckerei? eine Bücherhandlung / Apotheke in der Nähe?“ und Antworten auf Fragen wie „Was wird da eigentlich gebaut?, Welcher Schlüsseldienst ist hier der beste?, In welchem Gasthaus in der Nähe kann man wirklich gut essen gehen?, Welchen Arzt kann man empfehlen?“ oder ob wir einen verlässlichen Optiker oder Elektriker kennen - das alles und mehr wird besprochen und getauscht. Auch Touristen wird geholfen: Wir schicken sie in die richtige Richtung, wenn sie sich verlaufen haben, erklären Wiens Sehenswürdig-keiten und wie man hinkommt. Hotel-Tipps und Adressen, wo man Sonntags Essen bekommt inklusive. Und auch, wo die Kinder „chillen“ können.
Ich denke, alle Geschäftstreibenden dieser Welt kennen dieses Phänomen: Leute fragen nach allen möglichen Infos. Man hilft, wo man kann. Dieser Nahversorger-Service ist ein Akt der Menschlichkeit, eine Hilfe, die man begleitend anbietet.
Patrick tauscht sich mit einer Leichtigkeit aus, die man nicht antrainieren kann. Er ist „intrinsisch motiviert“, wie wir Betriebswissenschaftler sagen, spontan in Kontakt zu treten. Einfach, weil es ihm Spaß macht. Das hat ihm inzwischen auf der Wieden den Ruf der „männlichen Klatschtante der unteren Wieden“ eingebracht. Denn abgesehen von wertvoller Information ist er auch einem guten Tratsch niemals abgeneigt 😉. Das führte dazu, dass manche Geschäftstreibende hier im Grätzl den Hut ziehen. Sie erkennen an, was sich Patrick in den kurzen Jahren seiner Präsenz hier aufgebaut hat. Der inzwischen befreundete und uns sehr lieb gewordene Geschäftsmann Norbert von gegenüber hat beispielsweise einen Pakt mit Patrick abgeschlossen: „Ich bin seit über 40 Jahren hier. Und immer gut informiert. Aber falls ich jemals nochmal vor dir etwas erfahren sollte, dann erzähl ich es dir als erstes. Versprochen!“ 😉
Was Patrick ausmacht, ist seine „Echtheit“. Er kennt keine freundliche „Schmierigkeit“. Ist er grantig, kommt das rüber, ist er gut aufgelegt, dann ebenfalls. Ist er müde, dann nuschelt er – mehr als sonst. Selten spielt er was vor. Falls doch, dann nur kurz und gibt es von sich aus zu erkennen. Diese „Authentizität“ spürt man. Das „auf andere Zugehen“-Wollen ist ein Talent, das man nicht kaufen kann. Man hat es oder eben nicht. Ich hab es beispielsweise nicht. Ich hab’s zwar sehr gerne sehr lustig, bin aber in Wahrheit eher introvertiert. Ich brauche keine Bühne, kein Publikum. Mache Sachen mit mir selbst aus. Bin gerne im Hintergrund. So ist auch unsere Rollenaufteilung. Patrick agiert als „Rampensau“ oder „Verkaufsköter“ wie er sich nennt und ich kümmere mich um Administration, Online-Auftritte, manche Einkäufe und Bestellungen und diverse strukturelle Aufgaben, die er zwar wichtig findet, die ihm aber unendlich langweilig sind. Mir teilweise auch, aber es muss halt gemacht werden. Ich hab mir diesen Hut aufgesetzt und er passt ganz gut!
Mit Herzblut dabei
2018 - vier Jahre nach der Übernahme des Cafés ergab sich im gleichen Haus die Möglichkeit, ein äußerst kleines Geschäftslokal zu mieten. Wir überlegten und wussten: Es ist platztechnisch nicht optimal, aber ideal, um unsere Kaffeemaschinen auszustellen. Dort kann man – wenn auch beengt – in Ruhe Beratungsgespräche führen. Der Schauraum war geboren! Und er bietet auch Platz für Kaffeemaschinen-Reparaturen.
Wieder wird also geräumt und renoviert: Es stellt sich heraus, dass der Boden eine Totalsanierung benötigt. Nicht nur einen neuen Belag oder Parkett, sondern der ganze Unterbau ist verrottet. Anders als Privatpersonen, müssen geschäftstreibende Mieter diese Kosten selbst berappen. Patrick geht das alles sehr nahe: Zwei Tage, nachdem ein kleiner Teil des Bodens nach unten in den Keller bricht ist ihm furchtbar schlecht. Er fährt ins Krankenhaus. Diagnose: Herzinfarkt.
Mit einem Schlag steht die Zeit still. Herzinfarkt mit 49 Jahren ist heftig. Aber Patrick hat Glück. Alles kann rechtzeitig abgefangen werden und er ist in bester Behandlung. Und in guter körperlicher Verfassung. Ich haderte wesentlich länger mit seinem Herzinfarkt als er. Denn ich weiß, es kann schnell gehen. Mir ist nach wie vor mulmig. Schließlich ist der Großteil meiner Verwandtschaft an Herzinfarkt gestorben – das heißt, wir haben eine familiäre Prädisposition. Nach seiner REHA war er schnell wieder aktiv. Bis dahin hat das Team die Stellung gehalten.
Gut auch, dass Patrick sich regelmäßig bewegt. Laufen ist sein Lieblingssport – er lief früher Marathons. Aktuell erlauben das die Füße nicht. Daher hat er das Cardio-Training umgelagert: Radfahren, Schwimmen und viel zu Fuß laufen.
