Kapitel 1/8: E – Es kam, wie es kommen musste …
Autorin: Sonja Schönberger
„Das musst du nehmen!“ - Die Worte des befreundeten Architekten Peter, der netterweise zur Besichtigung mitgekommen war, überraschten uns. Er war eigentlich zum Termin gekommen, um uns sein „kritisches Auge des Profis“ zu leihen und es uns gegebenenfalls auszureden. Aber schon hatte ihn das kleine Steh-Café mit seinem Charme überzeugt.
Alles hier flüstert dir leise zu: „Bleib doch, schau Dich um, nimm die Atmosphäre auf …“. Und man lässt sich gerne überzeugen. Denn das besondere Flair wirkt. Bei jedem.
Es ist Mitte März 2015 und wir stehen mit unserem Geschäftspartner, einem Schwiegersohn der Familie Naber im Espresso in der Wiedner Hauptstraße. Die Familie trennt sich von ihren fünf Filialen. Die nächste Generation möchte sich voll und ganz dem Rösten und anderen Dingen widmen. Das Einzelhandels-Konzept kann weg. Man hatte diese Filiale Ende Dezember des Vorjahres geschlossen. Und dennoch sieht es hier so aus, als ob erst gestern noch ein Gast dagewesen wäre. Ein paar Tassen stehen am Tresen, Gläser griffbereit, lose Kaffeebohnen liegen in der Glasauslage der gerundeten Theke und lustigerweise auch eine Torte in der Vitrine – längst eingetrocknet. Das ist dem Besitzer peinlich. Er dachte, es sei alles gründlich gereinigt, wenn wir zum Besichtigungstermin kommen. Es sind nun aber genau diese Kleinigkeiten, die ein Flair erzeugen, dass man sich sofort vorstellen kann, wie es aussähe, wenn Betrieb herrscht.
„Diese Fliesen sind einzeln verlegt. Qualitätshandarbeit. Heute undenkbar. Und beinah ‚unkaputtbar‘, sagt Peter weiters. „Die gute Nachricht: Der damalige Architekt hat vorausschauend gehandelt und dahinter einen Schacht für Leitungen legen lassen. Bezüglich Wasserleitungen: Die haben zwar nur ein geringes Gefälle, aber es sollte reichen“, so die weitere Diagnose des Architektenfreunds. „Die Spüle gehört früher oder später ausgetauscht. Auch der Geschirrspüler und die Eiswürfelmaschine müssen aus hygienischen Gründen ersetzt werden“.
Wir schauen uns im Detail um: Das kleine Steh-Café besteht aus drei Ebenen: Dem Gastraum, einem „Podest“, auf dem die Theke und Regale stehen, und von der eine Tür mit einer weiteren Stufe in die enge Küche führt. Die ist ebenfalls mit Regalen und Kästchen aus den 1950ern ausgestattet. Der Tischler hatte sogar einen winzigen Arbeitstisch integriert. Ein Fenster schaut in einen Lichthof. Daneben eine winzige Personaltoilette (in einem Zustand, den wir fürs erste nicht so genau beäugen wollen). Klar ist: Die gehört unbedingt renoviert. Genauso wie einiges andere: der Boden, der Spülbereich, die Wand etc.
Der Besitzer lässt uns alles in Ruhe inspizieren und sagt dann nach einer Weile: „Ja, was vielleicht wichtig ist zu wissen: Im Haus hat jemand das Denkmalamt eingeschaltet und das Interieur ist nun unter Denkmalschutz. Das gilt es bei Renovierungsarbeiten künftig also zu berücksichtigen.“
Der Architekt meint: „Das betrifft sicherlich hauptsächlich den Gastraum. Und hat – abgesehen vom schönen Interieur – einen baulichen Vorteil: Die drei Ebenen können belassen werden, es braucht keinen barrierefreien Übergang. Hinten in der Küche wird das altbauliche sicherlich nicht so streng exekutiert. Da regiert später eher das Marktamt – Hygiene geht vor.“
Klar ist damit: Kochen oder Toasten werden künftig hier nicht möglich sein – denn es ist unwahrscheinlich die dafür nötigen Betriebsanlagen genehmigt zu bekommen. Nun, professionelles Kochen, so wie man es aus Restaurants und Kaffeehäusern kennt, hatten wir ohnehin nicht vor. Wir wollen ja die dezidierte Espresso-Widmung weiterführen.
Architekt Hofman wusste, was er tat – Wiens erster Coffee-Shop (1955)
Die Rösterei Naber wurde 1908 gegründet. Der findige Spross des Gründers betraute nach seiner Geschäftsübernahme um 1950 den Nachkriegsarchitekten Ernst Otto Hofmann mit der Konzeption
eines Ladenkonzepts: Eine Kombination aus „Espresso“[1] mit integriertem Kaffeeladen. Man sollte dort Kaffeebohnen erwerben sowie eine Tasse Kaffee vor Ort genießen können.
[1] So nannte man damals die kleinen Kaffee-Bars, wo mittels neuester Espressomaschinen Kaffee serviert wurde.
Beim Betreten des Geschäfts erkennt man sofort: Architekt Hofmann hat sein Handwerk verstanden.
Er schuf ein einladendes Flair aus Holz und Messing, das erlaubt, die Stehkaffee-Bar mit dem
Greissler-Konzept zu verbinden. Besser hätte man diese Idee nicht umsetzen können. Der Entwurf
des talentierten Architekten entpuppt sich als Meisterleistung mit beeindruckendem Interieur:
· der Adolf-Loos-Einfluss der schräg angesetzten Auslage: Die Fensterscheiben laden mit ihrem nach innen gezogenen leichten Winkel ein, einzutreten – ja sie ziehen das interessierte Publikum förmlich hinein
· eine große, geschwungene Theke wirkt gemütlich und elegant durch ihr Nuss-Holz und die integrierten Vitrinenglas-Elemente
· die handgefertigten sowie einzeln handverlegten Glas-Mosaiksteine (Fliesen) in Pastell-Gelb. Heute kann kaum noch ein versierter Fliesenleger diese aufwändige Arbeit produktionstechnisch nachvollziehen oder gar wirtschaftlich leistbar umsetzen
· die Spiegelwand, die alles größer wirken lässt und Details in Szene setzt
· die beeindruckenden Kaffee-Behälter – sogenannte „Kaffee-Schütten“ aus Messing, die der Entnahme frisch gerösteter Kaffeebohnen dienten
· einen expliziten Platz für die Espresso-Maschine, der diese in Szene setzt -> so wie man es heute aus modernen 3rd-wave-Coffee-Läden kennt
· der original Stehtisch von 1955 mit seinen abgerundeten Ecken, feinen Holzleisten und eingelassener Lack-Linoleum-Oberfläche ist ebenfalls denkmalgeschützt und steht massiv da wie ein „Einser“
· die Uhr sowie vielen kleinen Messing-Elemente und Details im Stil der 50er Jahre verleihen zugleich Eleganz und Wärme
· und schließlich der ebenfalls in den 50er Jahren für NABER eigens kreierte 3D-Schriftzug des Gründer-Firmen-Namens NABER
· Summa summarum: ein designtechnisches Gesamtkunstwerk 😉
Wiens allererster „Coffee-Shop“:
„Naber Kaffee“ - Auf der Wiedner Hauptstraße 40 im Jahr 1955 errichtet. Heute noch gemütlich und bezaubernd:
Nabers Anforderung an den Architekten war auch, dass man das Design "vervielfachen" kann - heute würde man sagen: ein Ladenkonzept, das "skalierbar" ist. Naber ließ damals fünf Filialen errichten. Damit war die erste moderne Coffee-Shop-Kette Wiens geboren.
Zeitgleich zu "unserem" Standort in der Wiedner Hauptstraße 40 wurden noch fünf weitere Filialen in ähnlichem Design errichtet: in der Schönbrunner Straße, der Stumpergasse, der Nußdorferstraße, Lerchenfelderstraße, sowie in der Wipplingerstraße.
Die Filialen hatten zwei Funktionen, die wir bis heute weiterbetreiben:
1) Kaffeegreissler-Geschäft, in dem frische Röstungen zum Mitnehmen angeboten werden. Damals konnte man Kaffee noch nicht regulär im Supermarkt kaufen.
2) Steh-Espresso zum raschen Kaffee-Trinken vor Ort (wie man es aus Italien kennt).
Auf diese Weise wurde in Wien Kaffee-Geschichte geschrieben, die bis in die Gegenwart beeindruckt. Wenn auch Naber inzwischen alle Filialen veräußert hat, so dienen heute noch zwei dieser Geschäftsräume ihrem ursprünglichen Zweck: dem Kaffeegenuss. Bei uns und in der Wipplinger Straße kann man Kaffee trinken. Das Greissler-Konzept blieb allerdings nur bei uns erhalten. Alle anderen Standorte wurden inzwischen geschliffen oder werden anders verwendet.
Wirken und Warten und Drüberschlafen …
Zurück zur Erst-Besichtigung: Ich bleibe weiterhin skeptisch. Nicht, weil mich das Interieur nicht überzeugt. Sondern mehr der Gedanke daran, was da kommt. Meine Großeltern hatten einen Nahversorger-Geschäft in Niederösterreich und ich wusste von Klein her, dass so ein Laden enorm viel Arbeit macht. Egal ob Woche oder Wochenende, du arbeitest immer. Auch abends. Sonn- und feiertags. Ich frage Patrick: „Willst du dir das tatsächlich antun? Wir haben weder Erfahrung mit Gastro noch mit Einzelhandel. Da bist du rund um die Uhr beschäftigt. Ist dir das bewusst?“
Er brummt nur „architektonisch spricht nichts dagegen“ und schaut sich weiter um. Innerlich weiß ich bereits: Seine Entscheidung ist getroffen. Patrick möchte den Laden haben.
Denn dieses Geschäft hat eine Energie, die einen in ihren Bann zieht. Man spürt, dass viele Menschen hier gute Gedanken reingesteckt und eine gute Zeit verbracht haben. Das warme Messing-Holz-Konzept ist stimmig. Man fühlt sich geborgen und es gibt viel zu schauen: Das Holz der europäischen Nuss strahlt eine Gemütlichkeit aus, die gerundete Theke wirkt einladend, die Wandfliesen in Pastell-Gelb bilden einen schönen Kontrast. Die goldfarbenen „Kaffeeschütten“ – die zu früheren Zeiten als Kaffeeaufbewahrungsbehälter gedient hatten - tun ihr Übriges dazu.
Wir stehen und lassen es wirken. Witzigerweise tun wir das heute – zehn Jahre später – immer noch. Abends, wenn alle Gäste weg sind, alles abgeräumt und geschlichtet ist, saugen wir in aller Ruhe das Flair des Cafés ein. Mal auch mit einem Glas Wein in der Hand. Denn Espressi haben wir zu diesem Zeitpunkt schon ausreichend getrunken 😉 Aber ich greife der Geschichte vor. Wir stehen also im Geschäft und lassen es wirken. Schnell ist eine TO-DO-Liste geschrieben:
· Die Finanzierung muss aufgestellt werden. Schließlich gibt es eine Ablöse zu bezahlen und wir brauchen eine professionelle Espresso-Maschine, die Gastro-Ansprüchen genügt.
[1] Gastrokaffeemaschinen benötigen so gut wie immer Starkstrom
· Wir trauen unseren Augen nicht : Die Kaffeemaschine, die auf der Theke steht, ist an „Normalstrom“[1] angeschlossen. Der nette „Vertreter“ der Familie Naber - Marco den wir heute als Freund bezeichnen dürfen - sagt: „Ah, deshalb schmeckte der Kaffee wohl nie gleich. Einmal intensiv, einmal wässrig. Aber nicht mehr wirklich gut“. Wir brechen alle in Gelächter aus. Ein wahres Glück, dass es nie zu einem Kabelbrand kam! Manchmal hat man mehr Schutzengel als man glaubt …
· Einige Renovierungsarbeiten müssen unbedingt vor der Eröffnung ausgeführt werden: Es braucht eine neue Strom- und Wasser-Infrastruktur sowie die nötigsten Reparaturen in der Küche, am WC und in der Vitrine.
· Kassa: Das Erbstück von Naber (siehe Foto rechts) hat ausgedient. Wir wollen ein Kassensystem, das auch Warenwirtschaft kann und starten mit Orderbird.
· Möbel: Regale für die Auslage wären ideal. Und auch Stühle, die zum wunderschönen denkmalgeschützten Steh-Tisch passen.
· Auch brauchen wir Internet, Geschirr (Tassen, Gläser, Löffel, Teller, Filterkannen etc.) sowie Betriebsutensilien wie Servietten, Becher, Milch sowie Süßes zum Kaffee. Das Suchen und Sichten der für uns richtigen „Barista-Gadgets“ dauert bis heute an – denn es entwickelt sich ja ständig alles weiter und wir sind neugierig 😉.
· Plus: Ein bisschen frische Farbe wäre nicht schlecht. Insbesondere das Ausmalen des Gastraums ist dringend erforderlich.
Das Reinigen übernehmen wir selbst. Es braucht mehrere Runden, um alle Oberflächen wieder sauber und auf Glanz zu bekommen.